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Ideenschwanger

Sie sehen etwas. Eine richtig gute Idee, und dann denken Sie:

 

„Verdammt, genau darüber habe ich vor (ergänzen Sie hier Ihre Zeitangabe) mit jemandem gesprochen. Genau die Idee hatte ich auch. Jetzt hat's jemand einfach gemacht.“

 

Es geht vielen, wirklich vielen, so wie Ihnen. Die meisten hatten tatsächlich einen vergleichbaren Gedanken.

In erster Linie, weil sie den gleichen Mangel erkannt haben. Einen Insight. „Das müsste man doch besser machen können.“ Zwischen dieser wichtigen und ursprünglichen Erkenntnis und einer Idee liegt aber noch viel Schwangerschaft. Und die ist beschwerlich. Jeder Meter, der einen näher an die Geburt bringt, wird mühseliger. Es geht zunehmend langsamer voran, als auf den ersten Schritten. Man hat die eigenen Gedanken zigfach geteilt und stößt immer auf mehr „yesbuts“ als auf „whynots“. Es braucht schon ein ziemlich dickes Fell, wenn man sich nicht abbringen lässt. Eine ungeborene Idee macht einen über die gesamte Strecke auch nicht sonderlich sexy. Man bekommt Augenringe und Sorgenfalten. Man grübelt und nervt sein Umfeld mit immer demselben Thema.

 

Ungezählte Ideen erblicken nie das Licht der Welt. Sie werden vorher abgetrieben. Aber ein paar schaffen es eben doch. Und dann hält man sie in den Händen – voller Stolz. Das süßeste, hübscheste und vollkommenste, was man je gesehen hat. Glückstränen schießen einem in die Augen. Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann das nachfühlen. Ok, man ist nicht mehr schwanger. Die Idee ist raus. Und auch jetzt ist es wie im richtigen Leben. Sie frisst, kackt, macht Geräusche und bereitet einem schlaflose Nächte. Denn die Schönheit, die wir sehen, begreift der Rest der Welt noch nicht so richtig. "Nette Idee, aber die kann ja gar nicht laufen. Und sprechen auch nicht." Also wird geschliffen was das Zeug hält. Bringen Sie mal einer Idee das Laufen bei. Hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, hinfallen… Irgendwann geht’s. Wenn Sie dran bleiben. Aber kaum läufts, macht sie vorrangig Blödsinn. Und so weiter. Und dann irgendwann erkennen die ersten Menschen den Schmetterling, der sich aus der Puppe entwickelt. Plötzlich kommt Zustimmung und Unterstützung. Ein Gefühl wie eine warme Dusche nach einem langen Winterspaziergang (Ohne Schnee, aber dafür saukalt mit reichlich Regen). Sie müssen jetzt lernen ein wenig loszulassen. Im richtigen Moment den richtigen Menschen vertrauen, die mit den richtigen Entscheidungen das ganze Potential der Idee entfesseln können.

 

Und dann sagt irgendjemand: „Verdammt, genau darüber habe ich vor (ergänzen Sie ihre Zeitangabe) mit jemandem gesprochen. Genau die Idee hatte ich auch. Jetzt hat's jemand einfach gemacht.“ „Einfach“ denken Sie und lächeln. Sie sind schon wieder schwanger.

Aber!

Da gibt es einen offensichtlichen Mangel. Etwas, dass wirklich nicht gut funktioniert. Also, aus heutiger Sicht.

Vor Jahren, Jahrzehnten war die aktuelle Praxis vielleicht noch State of the Art, doch die Welt und die Möglichkeiten drum herum haben sich rasant entwickelt. Man würde es heute anders machen. Schneller, sicherer, einfacher, komfortabler, einfallsreicher, verständlicher, intuitiver – was auch immer. Einzig, man tut es nicht. Wer diesen Mangel erkennt, mit ihm leben muss, hat sicher schon den ein oder anderen Gedanken gehabt. Und sich dann doch wieder mit den Gegebenheiten arrangiert.

Selbst, wenn der Erneuerungs-Druck im Kessel stetig steigt, es dauert meist ewig, bis sich eine neue Lösung anbahnt. Der größte Feind der Erneuerung ist ein einziges Wort. Es leitet regelmäßig den Niedergang ein, walzt zarte Pflänzchen platt, sät Frustration und verhindert damit das Aufblühen von Ideen. Dieses Wort heißt: „aber“!

 

Die Sorge der Menschen etwas zu verlieren, ist größer, als die Sorge etwas nicht zu gewinnen, zeigen Studien. Und da neue Ideen häufig etwas Bestehendes ersetzen, ist die Verlustangst ständiger Begleiter. Und das „aber“ wirkt wie eine Vollbremsung im Scheinwerferlicht der Idee. Neue Ideen in eine Aber-Welt zu setzen ist, wie unter Wasser eine Kerze anzünden. Trotzdem kommen manche durch. Was ist deren Geheimnis? Wie überleben sie das „aber“? Vier interessante Beobachtungen:

 

1. Die neue Idee ist gar keine neue Idee. Ist sie natürlich doch, aber sie tritt nicht so auf. Sie ist die Evolution eines bestehenden Konzeptes. Das darf folgerichtig weiterleben. Man kann also das alte Konzept „und“ das Neue nutzen. Schleichend setzt es sich fest und wird zum Standard. Zum neuen Alten. So kommt die neue Idee erst gar nicht ins Fadenkreuz des aber. Auf diese Art wechselt ein iPhone das nächste ohne große Widerstände ab. Wandert von der Hand an den Arm (Applewatch) und auf den Tisch (Tablet) und irgendwann werden wir erleben wie das iPhone zum KeinPhone wird – weil das ganze Gesummse, das wir auf einem unhandlichen nackenverspannenden Runterguck-Device konsumieren, auch gleich in eine Brille projizieren könnten. Bevor jetzt jemand „aber“ ruft: beruhigen Sie sich, ist ja noch nicht soweit.
Learning: neue Ideen haben es deutlich leichter, wenn sie in einer alten Verpackung aufkreuzen und nicht alles was existiert auf einmal erneuern, sondern eben nur gerade soviel wie geht. Das erste iPhone von Apple kam als Kommunikationstabletcomputerorganiser und hieß übrigens Newton. Er hatte geniale Innovationen und nie eine echte Chance. Zuviel „aber“.

 

2. Der Kessel explodiert. Ok. Wenn bestehende Konzepte unter neuen Voraussetzungen versagen, braucht es Abhilfe. Sofort. Der seltene Fall, wo grundsätzliches „aber“ nicht zieht. Weil die Idee alternativlos ist.
Sind Tür und Tor offen, gibt’s neue Hürden: Die Idee ist so offensichtlich gewollt, dass sie aus allen Himmelsrichtungen in zig Varianten auf einmal heranstürmt. Hier ist der Schlüssel die Geschwindigkeit. Bevor irgendjemand abwägen kann, welche die Beste ist („aber“), muss sie in Verwendung sein. Die ersten zwei haben es ungleich leichter, als alle die folgen.

 

3. Die neue Idee macht einen neuen Markt. Es gibt in diesem Fall keine direkt konkurrierenden Konzepte.
Und keinen Menschen, der diese verteidigen würde. Wichtig ist zu erkennen, ob unter Umständen der Markt selbst die zentrale Idee ist und nicht die Applikation, die zu seiner Entdeckung geführt hat. Eine starke Waffe gegen das „aber“ (hier übrigens meisten als freundliches „ja, aber“ (yesbut) verkleidet) ist das „whynot“.
Es gibt einfach wenig zu verlieren.

 

4. Die neue Idee ist superexklusiv. Willkommen im Lifestyle. Der Nutzen definiert sich über den Glauben an die Wirkung auf sich selbst oder andere. Die Idee muss vor allen Dingen begeistern und eine enorme Begehrlichkeit entfesseln. Das gelingt nur mit der Geschichtenerzähl-Power eines sehr schlauen Marketings. Ob das Objekt seine Begierde aus der Seltenheit, aus der Polarisierung, der schweren Zugänglichkeit oder beispielsweise einem hohen Preis zieht: die Story macht den Unterschied. Wer „aber“ sagt ist raus.
Es ist im Grunde eine Marketing-Idee. Das gilt für seltenen Schmuck, Uhren, Parfum, manche Kunst oder Marken-Crossoveren übrigens genauso wie für homöopathische Globulis.

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